Behördliches Disziplinarverfahren

Besteht ein ausreichender Verdacht auf ein Dienstvergehen, sind disziplinarbefugte Dienstvorgesetzte verpflichtet, ein behördliches Disziplinarverfahren einzuleiten, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, einen Ermittlungsbericht zu erstellen und eine Abschlussentscheidung zu treffen.

 

Einleitung des Verfahrens

Bei ausreichendem Verdacht auf ein Dienstvergehen sind Dienstvorgesetzte nach dem Legalitätsprinzip des § 17 Abs. 1 BDG bzw. § 20 Abs. 1 HDG verpflichtet, durch Disziplinarverfügung ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

 

Liegen mehrere Dienstpflichtverletzungen vor, die in einem inneren und äußeren Zusammenhang stehen, zum Beispiel ursächlich und zeitlich, werden sie im Disziplinarverfahren als ein Dienstvergehen einheitlich verfolgt und geahndet (Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens). Nach § 19 Abs. 1 BDG bzw. § 22 Abs. 1 HDG können in ein Disziplinarverfahren bis zur Abschlussentscheidung neue Handlungen aufgenommen werden, wenn auch sie im Verdacht stehen, ein Dienstvergehen zu sein. Im Interesse der Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens besteht nach § 19 Abs. 2 BDG bzw. § 22 Abs. 2 HDG – abweichend vom Einheitsgrundsatz – die Möglichkeit der Beschränkung. Das bedeutet, dass bereits bei Einleitung des Verfahrens solche Handlungen ausgeschlossen werden können, die für die Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen werden.

 

Ist zu erwarten, dass nach den Maßnahmeverboten der §§ 14 und 15 BDG bzw. §§ 17 und 18 HDG eine Disziplinarmaßnahme nicht in Betracht kommt, wird kein Disziplinarverfahren eingeleitet (§ 17 Abs. 2 BDG bzw. § 20 Abs. 2 HDG).

 

Wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet, muss zunächst geprüft werden, ob das Dienstvergehen bereits 2 Jahre oder länger zurückliegt (Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs, § 15 BDG bzw. § 18 HDG). Da die in § 15 BDG bzw. § 18 HDG genannten Fristen an die zu verhängende Disziplinarmaßnahme anknüpfen, hängt die Frage, welche Frist gilt, davon ab, mit welcher Disziplinarmaßnahme das möglicherweise vorliegende Dienstvergehen zu ahnden ist. Oft kann das aber nicht schon bei Einleitung des Verfahrens eindeutig beantwortet werden, sondern frühestens in seinem Verlauf oder erst nach seinem Abschluss. Sobald feststeht, dass ein Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs vorliegt, muss das Disziplinarverfahren eingestellt werden (§ 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG bzw. § 36 Abs. 1 Nr. 3 HDG).

 

Ein sachgleiches Straf- oder Bußgeldverfahren hat grundsätzlich Vorrang vor einem behördlichen Disziplinarverfahren. Das bedeutet: Läuft bereits vor Einleitung des Disziplinarverfahrens ein Strafverfahren, muss das Disziplinarverfahren aufgrund des Legalitätsprinzips zwar eingeleitet werden; nach § 22 Abs. 1 BDG bzw. § 25 Abs. 1 HDG muss es dann aber sofort ausgesetzt und kann erst dann wieder aufgenommen werden, wenn das Urteil im Strafverfahren gesprochen wurde. Art und Höhe des Urteils im Strafverfahren haben Auswirkungen auf das Disziplinarverfahren:

 

  • Endet das Straf- oder Bußgeldverfahren mit einem rechtskräftigen Freispruch, kann es nur dann wieder aufgenommen werden, wenn es sich um ein Dienstvergehen handelt, das weder unter eine Straf- noch Bußgeldvorschrift fällt (Maßnahmeverbot des § 14 Abs. 2 BDG bzw. § 17 Abs. 2 HDG, sog. disziplinarrechtlicher Überhang). 
  • Endet das Straf- oder Bußgeldverfahren hingegen unanfechtbar mit einem Schuldspruch, wird also eine Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme verhängt, kann das Disziplinarverfahren nur dann wieder aufgenommen werden, wenn es voraussichtlich mit einer höheren Strafe endet, also nicht mit einem Verweis, einer Geldbuße oder der Kürzung des Ruhegehalts (beschränktes Maßnahmeverbot des § 14 Abs. 1 BDG bzw. § 17 Abs. 1 HDG). 

 

Bei einem gerichtlichen Bußgeldverfahren, einem Verwaltungsgerichtsverfahren oder bei staatsanwaltlichen Ermittlungen kann das Disziplinarverfahren nach seiner Einleitung ausgesetzt werden, wenn in dem anderen Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, die für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist (§ 22 Abs. 2 BDG bzw. § 25 Abs. 3 HDG).

 

Sie müssen von Amts wegen unverzüglich darüber informiert werden, wenn gegen Sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, und zwar sobald dies ohne Gefährdung der Sachverhaltsaufklärung möglich ist (§ 20 Abs. 1 BDG bzw. § 23 Abs. 1 HDG). Dabei sind Sie über Ihre Rechte zu belehren. Ist die erforderliche Belehrung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, darf Ihre Aussage nicht zu Ihrem Nachteil verwertet werden (§ 20 Abs. 3 BDG bzw. § 23 Abs. 3 HDG).

 

Mit der Einleitung kann die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge angeordnet werden, wenn voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird (§ 38 BDG bzw. § 43 HDG). Steht der Verdacht auf schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen im Raum, kann aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte untersagt werden (§ 66 BBG bzw. § 39 BeamtStG).

 

Durchführung von Ermittlungen

Von Amts wegen sind alle Ermittlungen durchzuführen, die zur Sachaufklärung erforderlich sind (§ 21 Abs. 1 BDG bzw. § 24 Abs. 1 HDG). Das heißt, dass alle belastenden und entlastenden Umstände festgestellt werden müssen, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind. Die Ermittlungen sind vertraulich zu führen und müssen sich trotz des Gebots bestmöglicher Aufklärung auf das Erforderliche beschränken. Dabei darf der über den Disziplinarvorwurf informierte Personenkreis nicht größer sein, als für die Ermittlungen nötig ist. Darüber hinaus können sie von einem eigens beauftragten Ermittlungsführer geleitet werden, was zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen kann. In umfangreichen und komplexen Verfahren sollten mehrere Personen mit den Ermittlungen beauftragt werden.

 

Unter bestimmten Bedingungen dürfen Ermittlungen nicht geführt bzw. kann von ihnen abgesehen werden:

 

  • Keine Durchführung: Steht der maßgebliche Sachverhalt durch ein sachgleiches rechtskräftiges Urteil im Straf- oder Bußgeldverfahren oder durch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren bereits fest und wurde nach § 9 BbesG bzw. § 8 HBesG über den Verlust der Besoldung bei schuldhaft unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst entschieden (§ 21 Abs. 2 S. 1 BDG bzw. § 24 Abs. 2 S. 1 HDG). 
  • Absehen: Der Sachverhalt wurde in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren oder auf sonstige Weise aufgeklärt, zum Beispiel durch ein polizeiliches oder staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder ein Bußgeldverfahren (§ 21 Abs. 2 S. 2 BDG bzw. § 24 Abs. 2 S. 2 HDG). Dies können auch Verfahren sein, die andere an der Begehung des Dienstvergehens beteiligte Personen betreffen.

 

Im Rahmen der Ermittlungen sind die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 24 BDG bzw. § 27 HDG). Aus rechtsstaatlichen Gründen gelten für die Beweisaufnahme dieselben strafprozessualen Grundsätze wie »in dubio pro reo« (im Zweifel für den Angeklagten) und Beweisregeln des § 244 StPO auch für Disziplinarverfahren, selbst wenn auf sie im BDG bzw. HDG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird.

 

Beweismittel

Beweismittel sind die Beamten selbst, soweit sie sich zur Sache einlassen oder Gegenstand körperlicher Untersuchungen sind (zum Beispiel psychiatrische Untersuchungen zur Schuldfähigkeit, Entnahme von Blutproben). Körperliche Eingriffe ohne Einwilligung sind nur unter den Voraussetzungen des § 81a StPO zur Klärung eines Verhaltens zulässig, das eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellt. Ansonsten können Beamte körperliche Eingriffe verweigern, da sie nicht verpflichtet sind, am Verfahren aktiv mitzuwirken.Weitere Beweismittel sind nach § 24 Abs. 1 S. 2 BDG bzw. § 27 Abs. 1 S. 2 HDG:

 

  • Schriftliche dienstliche Auskünfte 
  • Belastungs- und Entlastungszeugen 
  • Sachverständige 
  • Urkunden und Akten 
  • Augenschein 

 

Für den Zeugen- und Sachverständigenbeweis gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechend. Bei dringendem Verdacht kann das zuständige Verwaltungsgericht auf Antrag Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen, sofern diese Maßnahmen im Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme stehen (§ 27 BDG bzw. § 30 HDG). Es kann ferner ersucht werden, Zeugen oder Sachverständige zu vernehmen, die ohne Vorliegen der in den §§ 52 bis 55 und 76 StPO bezeichneten Gründe die Aussage oder Erstattung des Gutachtens verweigern (§ 25 Abs. 2 BDG bzw. § 28 Abs. 2 HDG). 

 

Von den Beamten kann die Herausgabe beweiserheblicher Unterlagen mit dienstlichem Bezug verlangt werden (§ 26 BDG bzw. § 29 HDG). Bei Weigerung kann auch hier das zuständige Verwaltungsgericht auf Antrag die Herausgabe anordnen und erzwingen. Personalakten und andere dienstliche Unterlagen mit personenbezogenen Daten können auch gegen den Willen der Beamten oder anderer Betroffener beigezogen werden, soweit dies erforderlich ist und andere überwiegende Belange dem nicht entgegenstehen (§ 26 BDG bzw. § 29 HDG).

 

Abschluss des Verfahrens

Nach Abschluss der Ermittlungen muss der Ermittlungsführer das Ergebnis in einem schriftlichen Ermittlungsbericht zusammenfassen. Folgende Punkte muss der Bericht enthalten:

 

  • Verlauf der Ermittlungen 
  • Persönliche und dienstliche Verhältnisse des Beamten 
  • Festgestellter disziplinarrechtlicher Sachverhalt 
  • Beweiswürdigung 
  • Disziplinarrechtliche Würdigung 

 

Im Wege der freien Beweiswürdigung entscheidet der Ermittlungsführer, ob das Dienstvergehen erwiesen ist oder nicht. Der Nachweis ist lückenlos und nachvollziehbar zu führen. Bleiben trotz Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Beweismittel Zweifel in tatsächlicher Hinsicht zurück, ist nach dem Grundsatz »in dubio pro reo« zu Ihren Gunsten zu entscheiden. 

 

Anschließend entscheidet der jeweils zuständige Dienstvorgesetzte, ob er sich den Ermittlungsbericht mit seinen Ergebnissen zu eigen macht oder ob er Korrekturen bzw. ergänzende Ermittlungen für erforderlich hält. Hat er ihn autorisiert, muss Ihnen der Ermittlungsbericht bekannt gemacht werden, da er die Grundlage für Ihre nach § 30 BDG bzw. § 34 HDG vorgeschriebene abschließende Anhörung ist; eine Verwertung des belastenden Sachverhalts ist nur zulässig, sofern spätestens in der abschließenden Anhörung Gelegenheit bestand, sich dazu zu äußern. Dafür ist eine Äußerungsfrist von 1 Monat zu setzen. 

 

Ergibt sich nach der abschließenden Anhörung nicht die Notwendigkeit, ergänzende Ermittlungen durchzuführen und den Ermittlungsbericht zu ergänzen, muss der Dienstvorgesetzte prüfen, wer für die Abschlussentscheidung zuständig ist. Die Zuständigkeit kann nach § 31 BDG bzw. § 35 HDG bei ihm, beim nächsten Dienstvorgesetzten oder der obersten Dienstbehörde liegen.

 

Abschließende Entscheidung

Als Abschlussentscheidung für das behördliche Disziplinarverfahren sehen das Bundesdisziplinar- (§§ 32 ff.) bzw. das Hessische Disziplinargesetz (§§ 36 ff.) Folgendes vor:

 

  • Einstellungsverfügung (§ 32 BDG bzw. § 36 HDG), 
  • Erlass einer Disziplinarverfügung (§ 33 BDG bzw. § 37 HDG) und 
  • Erhebung der Disziplinarklage (§ 34 BDG bzw. § 38 HDG).

 

Das Disziplinarverfahren muss vor allem dann eingestellt werden, wenn ein Dienstvergehen nicht erwiesen ist oder ein Maßnahmeverbot wegen straf- oder bußgeldrechtlicher Ahndung oder wegen Zeitablaufs vorliegt (§ 32 Abs. 1 BDG bzw. § 36 Abs. 1 HDG). Die schriftlich abzufassende Einstellungsverfügung ist als begünstigender Verwaltungsakt zu begründen und zuzustellen (§ 32 Abs. 3 BDG bzw. § 36 Abs. 3 HDG).

 

Die Einstellungsverfügung kann Sie jedoch auch belasten, zum Beispiel wenn nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 BDG bzw. § 36 Abs. 1 Nr. 2 HDG das Verfahren trotz erwiesenen Dienstvergehens eingestellt wird, weil eine Disziplinarmaßnahme nach dem Opportunitätsprinzip nicht angezeigt erscheint. In diesem Fall ist die Einstellungsverfügung ein belastender Verwaltungsakt, der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen werden muss und gegen den Sie Widerspruch (§§ 41 ff. BDG bzw. §§ 46 HDG) oder, wenn die oberste Dienstbehörde die Einstellungsverfügung erlässt, Anfechtungsklage beim zuständigen Verwaltungsgericht erheben können.

 

Mit dem schriftlichen Erlass einer Disziplinarverfügung werden Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge und Kürzung des Ruhegehalts als Disziplinarmaßnahme ausgesprochen (§ 33 BDG bzw. § 37 HDG). Sie ist ebenfalls als belastender Verwaltungsakt zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen. Die Begründung muss ausreichend substantiiert sein, damit sie von den übergeordneten Dienststellen, dem Gericht und Ihnen als Betroffenem nachvollzogen und überprüft werden kann. Damit dies möglich ist, müssen der disziplinarerhebliche Sachverhalt, seine disziplinarrechtliche Bewertung und die Gründe für die Auswahl und Bemessung der verhängten Disziplinarmaßnahme nach Art und Höhe dargelegt werden. Gegen die Disziplinarverfügung können Sie Widerspruch (§§ 41 ff. BDG bzw. §§ 46 ff. HDG) oder, wenn die oberste Dienstbehörde die Einstellungsverfügung erlässt, Anfechtungsklage beim zuständigen Verwaltungsgericht erheben. 

 

Der höhere Dienstvorgesetzte oder die oberste Dienstbehörde kann eine Disziplinarverfügung eines nachgeordneten Disziplinarvorgesetzten, die oberste Dienstbehörde auch eine von ihr selbst erlassene Disziplinarverfügung jederzeit aufheben und neu entscheiden (§ 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 BDG bzw. § 41 Abs. 3 S. 1 und 2 HDG). Eine Verschärfung der Disziplinarmaßnahme nach Art oder Höhe bzw. die Erhebung der Disziplinarklage ist zulässig; Voraussetzung hierfür ist, dass wegen desselben Sachverhalts ein rechtskräftiges Urteil aufgrund von tatsächlichen Feststellungen ergeht, die von jenen der Disziplinarverfügung abweichen (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BDG bzw. § 41 Abs. 3 S. 3 HDG). Ohne ein derartiges Urteil ist eine solche Änderung zu Ihren Lasten nur innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung der Disziplinarverfügung zulässig.

 

Soll eine Zurückstufung, eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder eine Aberkennung des Ruhegehalts ausgesprochen werden, so muss gegen Sie vor dem zuständigen Verwaltungsgericht schriftlich Disziplinarklage erhoben werden (§ 34 BDG bzw. § 38 HDG). Damit werden die statusverändernden Maßnahmen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens einer gerichtlichen Entscheidung überlassen. Die Klageschrift muss Ihren persönlichen und beruflichen Werdegang, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen das Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel geordnet darstellen (§ 52 BDG bzw. § 57 HDG).